300 KM? - Auf einer Pobacke!

November 2018: Die zweite Lungenentzündung innerhalb von drei Jahren zwingt mich zu Hause zu bleiben und mich zu schonen. Selbst Sparziergänge sind am Anfang verboten. Was bleibt sind Netflix und Co. oder das Internet an sich. Die Hölle für mich. Ich kann doch so schlecht faulenzen.

 

Während ich so dahinvegetierte ploppt eine Nachricht von meinem Kumpel Bodo auf: „Habe mich gerade für die MSR 300 angemeldet. Vielleicht habt ihr ja auch Bock.“ Nur wenige Minuten später antwortete Stephan bereits: „Geile Idee! Bin dabei!“ Da hatte ich noch nicht mal gecheckt worum es überhaupt ging.

 

Also ab ins Netz, Google aufrufen und informieren. MSR 300 stand dort, ist die Mecklenburger Seenrundfahrt. 300 KM auf dem Rad. Am Stück! Seid ihr bescheuert? Niemals! Hey, wieso habe ich gerade auf den Anmelde Button geklickt. Das wollte ich doch gar nicht. Ach egal, was soll schief gehen? Mit Daniel kam dann noch ein weiterer Bekannter dazu. Die Nummer war im Kasten!

Im Januar 2019 durfte ich wieder trainieren und es war klar, dass der Fokus der ersten Jahreshälfte dann wohl auf das Radfahren gelegt werden muss. Was wollte ich nicht alles fahren. Jede Woche einen Gran Fondo (also 100 KM am Stück) ergänzt durch kleinere Fahrten. Der Mai kam dann jedoch schneller als erwartet und ich hatte nicht die Vorbereitungskilometer in den Beinen, die ich mir vorgenommen hatte. Wie konnte das nur wieder passieren.

 

Die Anreise planten wir mit dem Ford S-Max meiner Familie. Sollte jemand den Radsport betreiben, sei diesem gesagt, mit Dachbox und Radträger für ein Fahrrad kann man vier Räder und vier Personen inkl. Gepäck in diesem Auto von Augustfehn nach Neubrandenburg bringen. Wenn man ein wenig leidensfähig ist. Es wäre einfacher gegangen aber die anderen drei Jungs waren sehr in Sorge um Ihre Carbon Renner und konnten sich nicht überwinden diese auf den Fahrradträger zu packen. Also mussten sie leiden. Mir als Fahrer war das relativ wumpe. 

In Neubrandenburg angekommen (ist übrigens sehr schön da) trafen wir Teile des Tri-Teams rund um Tobi und Judith. Bodo hatte ein Trainingslager auf Mallorca bei den beiden gebucht und so kam überhaupt alles zustande.  Das war auch der Grund, warum wir am Ende unter "Tri-Team" gestartet sind und nicht unter unserem Verein "TV Apen 1893". Eine gute Entscheidung wie sich herausstellen sollte, denn das Trifft-Team war top organisiert und wusste was es tut. Die Jungs und Mädels waren uns direkt vom Anfang an sympathisch und gemeinsam fuhren wir zum Hotel. Wir hatten ein Außenhaus des Hotels für uns alleine, welches zwar einen gewissen Jugendherbergsstyle hatte aber so auch einen gewissen Charme versprühte.

Nach einem gemeinsamen Carboloading mit Spaghetti verteilte Judith noch ein paar "Leckerlies", in Form von  Nahrungsergänzungsmitteln von Orthomol (alles legal und kein Doping) für den nächsten Tag. Ein letzter Check unserer Ausrüstung und dann  gingen wir früh uns Bett, denn der nächste Tag sollte bereits um 4:00 Uhr morgens beginnen. 

 

Alles lief mehr oder weniger nach Plan und nachdem die letzten Fragen geklärt waren (Langarm-Trikot oder Armlinge? Jacke mitnehmen oder nicht? Wie viele Gels brauche ich? Wo ist mein Tacho und wer hat überhaupt mein Fahrrad versteckt?) standen wir pünktlich im Startblock und machten uns um 6:00 Uhr auf die Reise.

Die ersten Kilometer flogen nur so dahin. Der erste Stopp bei Kilometer 40 wurde ausgelassen und erst der zweite bei Kilometer 80 in Anspruch genommen. Ich hatte mich hier schon auf ne schöne lange Pause bei Ente süß-sauer oder Burger mit Pommes eingerichtet aber Tobi gab als Leader vor, dass in 10 Minuten alle wieder am Rad sein sollten. Das reichte mal gerade um pullern zu gehen, die Flaschen aufzufüllen und eine Schale Haferschleim zu essen. Nichts mit Ente süß-sauer! Nach exakt 11 Minuten saßen wir alle wieder auf dem Rad.

 

Der zweite Stopp war bereits ungeplant bei KM 120, da Petra eine Panne hatte. Die wurde in hervorragender Teamarbeit aber so schnell behoben, dass wir auch hier nur knapp 10-15 Minuten verweilten. Dabei gab es doch so ein nettes Lagerfeuer dort am See. Ich hätte verweilen können. 

Durch den ungeplanten Stopp bei KM 120 entfiel dafür der bei KM 160, was mir ehrlich gesagt nicht so richtig in den Kram passte. Das Tempo unserer Gruppe war ziemlich hoch (zu dem Zeitpunkt hatten wir einen Schnitt von 32,0 KM/h) und mein Akku schon ziemlich leer. So kam es dann auch, dass ich bei KM 185 kurz abreißen lassen musste. Doch gerade als ich dachte, ich würde jetzt die 15 KM zum Verpflegungspunkt alleine fahren, gesellte sich Petra zu mir, die das Tempo auch nicht mehr mitgehen konnte oder wollte. Gemeinsam litten wir leise vor uns hin und fuhren, mit immer noch 30 KM/h zum Verpflegungspunkt, wo wir uns mit Müsli, sauren Gurken, Nüssen und Kaffee stärkten. Üble Kombination eigentlich aber ich hätte alles essen können zu dem Zeitpunkt.

Nach kurzer Lagebesprechung entschieden wir uns, noch einmal alle gemeinsam loszufahren aber mehr zu kreiseln, um das Tempo besser kontrollieren zu können. So schafften wir es auch tatsächlich gemeinsam zu KM 240. Dort erwartete Daniel dann eine Überraschung, als zwei Freunde von ihm mit Schildern zunächst an der Strecke und anschließend am Verpflegungspunkt standen. Geile Aktion!

 

Ab jetzt stand jedoch fest, dass nicht mehr alle das Tempo mitgehen können und wir teilten uns auf. Daniel, Stephan und Olli ballerten vorne los, der Rest fuhr mit Tobi, Bodo und mir. Eine gute Entscheidung! Gestärkt mit Obstsalat, zwei Stücke Kuchen, einem Energieriegel und einem Liter Isogetränk (sagte ich bereits, dass ich sehr hungrig war?) ging es auf die letzten 60 KM.

Die Strecke hatte die gesamte Zeit keine wirklichen Berge für uns im Angebot aber immer wieder längere Anstiege, die einem, gerade zum Ende hin, immer wieder aus dem Sattel zwangen. Das zerrte! Gerade bei jemanden wie mir, der Berge beim Radfahren nur aus Erzählungen und Märchen kannte. Trotzdem kamen wir dem Ziel langsam näher. Ich wollte gerade in die letzte Verpflegungsstation bei KM 280 abbiegen als Tobi rief: „Wir fahren durch!“ Wie bitte? Durchfahren? Ich will essen. Alles was angeboten wird. Ich will meinen Popo in eine Eistonne setzen und meinem Nacken eine vierhändige Lumi-Lumi Massage gönnen! Aber er hatte kein Erbarmen! Wir fuhren weiter!

 

Die letzten 10 KM hatten dann Tour de France Feeling. Mit jeder Menge Leute an der Strecke, die einen angefeuert haben, Schildern, welche auf die verbleibenden Kilometer hinwiesen und der Sonne, die auch noch herauskam auf den letzten Metern. Die Zieleinfahrt im Kurpark war dann nur noch geil. Erschöpft, glücklich und vielleicht mit einer klitzekleinen Träne im Auge (vom Wind natürlich) fuhren wir durch den Torbogen und der Sprecher nannte unsere Namen. Die zwei kleinen Videos zeigen unsere Zieleinfahrt und ein Video von Bodo, wie es kein Bundesliga-Sportreporter besser hinbekommen hätte.

Sinnvoll wäre jetzt eine vernünftige Nachbereitung gewesen. Also Massage, Eiweißshake, viel Wasser und viel Schlaf. Man empfing uns jedoch direkt mit Weizenbier und der Abend endete bei Gin Tonic am Grill. Viel zu spät gingen wir ins Bett um am Morgen mit leichtem Kater die Rückreise anzutreten.

Mein Fazit am Sonntagabend: Habe ich jetzt mal gemacht, brauche ich nicht wieder. Anfrage von Daniel am Montagmorgen über Facebook: „Jungs, wie sieht es aus? Die Ausschreibung für nächstes Jahr ist raus.“ Mmmhh, also Lust hätte ich wohl schon wieder. Scheiß Demenz! Aber ohne Sport wäre ja auch alles ziemlich Sinnfrei!